Moin Jannis,
ich versuche es mal präziser, aber noch allgemein verständlich zu erklären.
Jedes Rechtsgeschäft besteht nach BGB-Regeln aus zwei Teilen:
dem Verpflichtungsgeschäft, bei dem der Vertragsgegenstand - also die beiderseitigen Leistungen, die ausgetauscht werden sollen - und ggf. Nebenpflichten der Parteien verbindlich festgelegt werden, und
dem Erfüllungsgeschäft, bei dem die vereinbarten Leistungen ausgetauscht werden und damit der Eigentumswechsel (z.B. an Geld und Ware) stattfindet.
Beim Kaufvertrag kommt das Verpflichtungsgeschäft zustande durch Angebot und Annahme. Wer welches von den beiden abgibt, ist egal. Normalerweise bietet der Verkäufer die Ware zu einem festgelegten Preis an und der Käufer nimmt das Angebot an. In Internet läuft das über die Schaltfläche, auf der „jetzt kaufen“ oder „verbindlich kaufen“ oder was Ähnliches steht. Mit dem Klick auf diese Schaltfläche wird das Verpflichtungsgeschäft verbindlich geschlossen. Danach werden (meistens) noch die Feinheiten des Erfüllungsgeschäfts vereinbart (Versand/Abholung/Zahlungsweise etc.) und ausgeführt.
Man kann das auch anders machen, indem der Verkäufer kein Angebot abgibt, sondern umgekehrt den Käufer zur Abgabe eines Angebots auffordert. Im Juristenslang heißt das „invitatio ad offerendum“. Typischer Fall ist das Kaufhaus. Die Ware liegt im Regal = invitatio. Der Kunde trägt die Ware zur Kasse = Angebot. Die Kassenkraft nimmt den Preis in die Registrierkasse = Annahme. Danach kommt das Erfüllungsgeschäft = Aushändigung der Ware gegen Zahlung des Kaufpreises. Im Internet oder in der Werbebeilage der Zeitung ist das meistens an der Klausel zu erkennen „Solange der Vorrat reicht“. Er macht deutlich, dass sich der Verkäufer nur dann rechtlich binden will, solange er noch die Ware hat.
Es gibt auch Mischformen wie das Feilschen auf dem Flohmarkt, bei dem abwechselnd Angebote abgegeben werden und letztlich einer der beiden das Angebot des anderen annimmt. Auch dann folgt der Austausch als Erfüllungsgeschäft nach.
Die Amazon-AGB (die ich nicht kenne) versuchen nach dem, was ich in diesem Thread lese, die Reihenfolge der Geschäfte auszuhebeln. Das Verpflichtungsgeschäft soll überhaupt erst abgeschlossen werden, nachdem die Ware versandt und eine Mitteilung darüber erfolgt ist. Der Versand der Ware ist aber schon die Erfüllung der Haupt-Verkäuferpflicht, also Erfüllungsgeschäft. Außerdem muss die Annahmeerklärung von Amazon, also nach den AGB die Versandmitteilung, dem Käufer zugehen, um das Verpflichtungsgeschäft verbindlich zu machen. Mit anderen Worten: Amazon erfüllt seine Pflicht aus einem Kaufvertrag, schafft damit die Voraussetzungen für den Käuferverzug, obwohl es diesen Vertrag noch gar nicht gibt!
Was wollen sie denn machen, wenn der Käufer auf den Zugang der Versandmitteilung sofort antwortet, dass er bei diesem Kauf die Amazon-AGB nicht akzeptiert (§ 305 Abs. 2, letzter Halbsatz BGB)? Liegt dann gar kein Vertrag vor, oder ist er schon mit der „Bestellung“ geschlossen worden?
Amazon versucht offenbar mit der Klausel, das Erfüllungsrisiko einseitig von sich abzuwälzen. Haben sie die angebotene Ware, dann erfüllen sie, haben sie sie nicht, werden sie von der Erfüllungspflicht frei. Nach meinem Verständnis fällt eine Klausel, die die Abläufe des Kaufs derart verwirrt, unter § 305c Abs. 1 BGB.